Studien
 
Die Wiederbebauung des Sägmühlenplatzes in Reichenbach 1787
 
Die Wiederbebauung des Sägmühlenplatzes in Reichenbach ist verbunden mit einer familiären Tragödie, dem Niedergang und dem Zerfall der Familie Stockinger, die seit ungefähr 1680 in Reichenbach ansässig war.

Im Mai 1787 gibt Johann Friedrich Mutschler (1736 – 1801), Schmied in Reichenbach, folgendes zu Protokoll (LIII): „Vor 26 Jahren habe ich mich mit des gewesenen Bürgers und Schmids Peters Stockingers allhier Wittib verheuratet, und mit derselben bis ins Frühjahr 1786, da sie in zimmlich hohem Alter gestorben, in der Ehe gelebt. Bei der über ihre Verlassenschaft vorgenommenen Realabtheilung fiele das vorhandene – von meinem Eheweib beigebrachte Wohnhauß auf den Sohn erster Ehe, Johannes Stockinger, und ich bin genötiget selbiges auf nächst kommend Martini zu räumen.“

Johannes Stockinger (* 1746), auch er ist Schmied wie Vater und Stiefvater, ist der älteste Sohn des 1760 verstorbenen (Johann) Peter Stockinger und seiner Ehefrau Sophia Dorothea Heinzelmann (1716 – 1786), die 1760 den um 20 Jahre jüngeren Johann Friedrich Mutschler geheiratet hat (L). Mutschler ist offenbar ein geachteter Mann, denn er ist zugleich „Clostersrichter“, also einer von (wenn ich es richtig sehe) drei Laienrichtern, die zusammen mit dem Amtmann das Amtsgericht bilden.

Weil Johann Friedrich Mutschler das Haus des Stiefsohns, der nur 10 Jahre jünger ist als der Stiefvater, räumen muss, will er ein eigenes Haus bauen, und zwar auf einem Platz, „worauf in vorigen Zeiten des Closters Sägmühl gestanden“ (LIII). Der Bauantrag wird genehmigt, und ein Jahr später (1788) erhält Mutschler auch die Genehmigung, am benachbarten Mühlbach „ein Triebwerk zu einem Hammer…und einem Schleifstein“ einrichten zu dürfen (XXXVI). Und so finden wir auf den frühen Flurkarten am Haus mit der Nummer 38 das Symbol eines Wasserrades, obwohl die Sägmühle zweifelsfrei vor 1787 abgebrochen wurde.

Sie, die alte Sägmühle, die seit dem Jahr 1346 bezeugt ist (H. Jänichen), war offenbar altersschwach und renovierungsbedürftig. Zwischen 1747 und 1752 war der Bau einer neuen Sägmühle geprüft und nach vielem hin und her verworfen worden. Immerhin verdanken wir dieser Prüfung den „Mühlenplan“ (1751) des Werkmeisters und Mühlenvisitators Johann Wilhelm Götz (XXXVIII). 1756 aber baut der Gastmeister Franz Jacob Klumpp als privater Investor eine neue Sägmühle (XXXVI), sehr wahrscheinlich die Erlensägmühle, die damals noch nicht aus einem Kanal der Murg angetrieben wurde, sondern aus einem Säggraben vom Schleifbach herab, in den Quellen „Schleifbronnen“ genannt. Auch K.F.V. Jägerschmid (1800) berichtet im Jahr 1800 von einer Sägmühle am Schleifbach. So viel nur an dieser Stelle zum Ursprung der Erlensägmühle.

1789, im „Handlohn- und Weglösebuch“ (XXII), das die Abgaben festlegt, die fällig werden, wenn Immobilien den Besitzer wechseln, finden wir erwartungsgemäß Stiefvater und Stiefsohn als Hausbesitzer: Johann Friedrich Mutschler hat „ein Haus mit Schmittin vor dem oberen Thoor auf dem Sägwaasen“, und Johannes Stockinger besitzt eine „Behausung und Gärtlen bei dem Schulhaus auf dem Marktwaasen“,

Jetzt aber kommt es zu einer dramatischen Veränderung, die wir nur schwer deuten können: Kaum eingetragen, mit dem Vermerk 1789/90, wird der Besitz Stockingers fortgeschrieben an den neuen Gastmeister Franz Carl Klumpp, der alle Felder kauft, und an Burkhard Finkbeiner aus Röt, der das Haus übernimmt. Finkbeiner ist, ebenso wie Mutschler, Klosterrichter und hat das Haus offenbar nur treuhänderisch verwaltet, denn ein Jahr später (1790/91) wird es überschrieben an Johannes Stockingers Kinder. Die Weitergabe der Felder an den Gastmeister, es geht immerhin um gut 20 Morgen, trägt deutlich Züge eines Notverkaufs, der am ehesten durch Überschuldung erklärt werden kann. Die beiden Richter mögen dafür gesorgt haben, dass das Haus den Kindern Stockingers, es sind nicht weniger als neun, erhalten blieb.

Doch die ersten Kinder beginnen bald wegzuziehen, und 1802 verkauft (XXVII) der zweitälteste Sohn des Johannes Stockinger, es ist der Schmied Franz Carl Stockinger (* 1769), das Haus der Familie an den Rotgerber Johann Friedrich Klumpp, der wiederum ein Sohn jenes Gastmeisters ist, der 1789/90 die Felder Stockingers aufkaufte. Um 1840 sind zwei Söhne des Rotgerbers im Besitz des Hauses auf dem Marktwasen, es trägt die Nummer 22 (LII).

Nach dem Verkauf des Hauses kehrt Franz Carl Stockinger Reichenbach mit unbekanntem Ziel den Rücken, der ältere Bruder, Johann Friedrich, der unverheiratet als „Schmiedknecht“ arbeitet, stirbt 1807, die jüngeren Geschwister verlassen nach und nach den Ort – zurück bleibt vorerst nur der Vater, Johannes Stockinger. Doch 1824, er ist inzwischen 78 Jahre alt, zieht auch er weg, zunächst nach Hallwangen und ein Jahr später nach Altensteig, wo eine seiner Töchter verheiratet ist (L).

Auch der Besitz des Johann Friedrich Mutschler scheint nicht in Händen der Familie zu bleiben, denn Mutschler stirbt 1801 ohne leibliche Kinder. Doch der Schmied Johannes Heinzelmann (1784 – 1849) aus Baiersbronn, der um 1840 das Haus mit der alten Nummer 38 besitzt (LII; Foto), könnte ein entfernter Verwandter, ein Großneffe, von Mutschlers Frau Johanna Dorothea Heinzelmann sein. Sie stammt wie der Vater des jungen Schmieds, Matthias Heinzelmann (1744 – 1789), aus Reinerzau, ist aber um eine Generation älter (L).

Typoskript: 01/05
Druckversion: Freudenstädter Heimatblätter 08/05
Internetversion: 08/05
Aktualisierung: 08/05