Studien
 
Ein Bruderzwist ums Wasser
 
Ein Aktenbüschel des Stadtgerichts Freudenstadt aus den Jahren 1810/11, das Walter Ruoss aus Klosterreichenbach gefunden hat (LVII), dokumentiert einen interessanten Rechtstreit zweier Brüder aus Reichenbach. Und zwar klagt der Maurer Johann Georg Hornberger am 21. Mai 1810 vor dem Freudenstädter Stadtgericht gegen seinen Bruder Christian Hornberger, der ebenfalls Maurer ist. Der Sachverhalt, soweit wir ihn dem Verhandlungsprotokoll entnehmen können, ist folgender:

Vor 18 Jahren, also 1792, haben die beiden Brüder ihrem Vater Haus und Felder in Reichenbach zu gleichen Teilen abgekauft, wobei das Haus offenbar inzwischen im alleinigen Besitz des klagenden Bruders Johann Georg ist, doch scheint der beklagte Bruder Christian abgefunden und ebenfalls ein Haus zu besitzen. Neben dem Haus des Johann Georg befindet sich ein Brunnen, der auf einem Feld entspringt, das seinerzeit von diesem Bruder erworben wurde, wobei der Brunnen im Kaufbrief nicht eigens erwähnt wurde. Daraus schließt der beklagte Bruder Christian, dass nur das Feld und nicht der Brunnen in das Eigentum des klagenden Bruders übergegangen ist, und verlangt demzufolge die hälftige Mitnutzung des Brunnens. Dass er dies erst neuerdings verlangt, erklärt Christian Hornberger damit, dass er jetzt mehr Vieh halte als früher und auf die Mitnutzung des Brunnens mangels anderer Wasserquellen angewiesen sei.

Wir müssen, weil der aktuelle Brunnenbesitzer Johann Georg als Kläger auftritt, wohl davon ausgehen, dass der beklagte Bruder Christian versucht hat, sein vermeintliches Recht, wie auch immer, zu erzwingen. Vor Gericht bietet nun Johann Georg an, dem Bruder insoweit Zugang zum Wasser des Brunnens zu gewähren, als er es selbst nicht benötige. Vorsorglich verweist er allerdings auf einen Vergleich, den der verstorbene Vater der Brüder 1782 mit Peter Braun und Johannes Schwank zur gemeinschaftlichen Nutzung des Brunnens geschlossen hat.

Ehe wir über den Beschluß des Stadtgerichts berichten, wollen wir zunächst mit Hilfe weiterer Quellen den Sachverhalt genauer beleuchten:

Der im Gerichtsprotokoll erwähnte Vater der zerstrittenen Brüder ist der Maurer Johann Michael Hornberger (1734 – 1800, F 837) aus Frutenhof. Er heiratet 1760 in erster Ehe Anna Margaretha Wetzel (1736 – 1770), Tochter des Maurers Franz Wetzel (1700 – 1765, F 1027) aus Reichenbach. Dieser Ehe entspringt der ältere Sohn (Johann) Christian Hornberger (1763 - 1815, F 615). Nach dem Tod der ersten Frau heiratet Johann Michael in zweiter Ehe Sybilla Haist (1732 – 1808), Tochter des Hammerschmieds Christoph Haist (Haisch) aus Christophstal. Der zweiten Ehe entstammt der jüngere Sohn Johann Georg Hornberger (1773 - 1823, F 1028). Genau besehen handelt es sich demnach um zwei Stiefbrüder (L).

Johann Michael Hornberger, der Vater der beiden, besitzt 1769 ein Haus und gut 4 Morgen Äcker, Felder und Wiesen sowie 2 Stück "Horn- und Rindvieh", also vielleicht 2 Kühe; auch ist ein Brunnen unter seinen Gütern ausdrücklich genannt. Das "Tabellarische Verzeichnis" von 1769 (XXXI), dem wir diese Daten entnehmen, gibt keine Auskunft über die Lage des Hauses und der Güter. Über sie erfahren wir mehr im "Handlohn- und Weglösebuch" von 1789 (XXII), das auch bereits die Fortschreibung der Güter an die beiden Söhne Christian und Johann Georg in den Jahren 1791 und 1792 vermerkt. (Christian heiratet 1791 und Johann Georg 1792). Demnach besitzt zunächst der Vater Johann Michael Hornberger und demnach besitzen später die beiden Söhne folgende Feldstücke (M=Morgen, V=Viertelmorgen):

 
Christian Johann Georg
1 M "Aker und Rain im Hundsgrund"
1 M "Aker und Rain, die Reuthin genannt"
1,5 V "Wiesfeld im Brunnentrauf"
gut 1 V "im Brunnentrauf"
1 M "im Hundsgrund"
gut 1 V "Aker daselbst"
2 V "im Hundsgrund"
gut 2 V "im Hundsgrund"
 
Jeder der beiden Brüder besitzt also 1791/92 ca. 2,5 Morgen, die überwiegend "im Hundsgrund" liegen. Aus einer anderen Stelle des Buches geht hervor, dass der Hundsgrund am Heselbacher Weg liegt.
 
  Kartenausschnitt: Die Lage der Häuser 58 und 64 sowie 62 und 63 am Heselbacher Weg (1837)

Westlich des Heselbacher Wegs finden wir das Haus 58 mit der Parzelle 89, das 1810/11 im Besitz des (Johann) Christian Hornberger ist. Dem jüngeren Bruder, Johann Georg Hornberger, gehört das Haus 64 mit der Parzelle 96, von der zwischen den Parzellen 114 und 115 ein schmaler Korridor zum Waldrand führt, wo möglicherweise die Quelle des umstrittenen Brunnens zu suchen ist. Die bevorrechtigten Mitnutzer des Brunnens, (Johann) Christian Schwank und (Johann) Georg Braun, besitzen das Haus 63.

Quelle: Staatliches Vermessungsamt Freudenstadt

 
Genaueres über die Lage der Feldstücke erfahren wir aus der ersten Flurkarte des Jahres 1837 mit dem zugehörigen Kataster (LII). Um 1840 besitzt Johann Georg Hornberger (1798 – 1867), der Sohn des Christian, die große Parzelle 89 von knapp 3 Morgen, westlich des Heselbacher Wegs, mit dem Haus Nr. 58 und dazu zwei sehr kleine Parzellen (95 und 98/1). Die beiden Kinder des Georg Friedrich Hornberger, Sohn des Johann Georg Hornberger (es ist natürlich der ältere, 1773 – 1823) besitzen dagegen die Parzelle 96 (2,25 Morgen), ostwärts des Heselbacher Wegs, mit dem Haus Nr. 64. Eine Quelle mit Zufluss zu dem umstrittenen Brunnen lässt sich auf der Karte nicht finden, doch enthält die Parzelle 96 einen schmalen Korridor hinauf zum Waldrand, an eine Stelle, an der noch heute Wasser austritt (vgl. den Kartenausschnitt und die beiden Fotos).
 
 
Foto 1: Das Haus mit der alten Nummer 64 (um 1960)
Das Haus ist altberechtigt, also sehr wahrscheinlich vor 1755 erbaut. Vielleicht geht es auf den Maurer Jordan Wetzel zurück, der 1716 einen entsprechenden Bauantrag gestellt hatte. Zur Zeit des Rechtsstreits ist es in den Händen des Johann Georg Hornberger. Das Haus wurde 1978 abgetragen, der Platz mit der Kolonie "Bergwiese" neu überbaut.
(Foto von Walter Ruoss)
  Foto 2: Die Häuser mit den alten Nummern 58 und 63 (2005)
Beide Häuser sind nicht altberechtigt. Das Haus 63, leicht oberhalb des Heselbacher Wegs, ist wohl bald nach der Baugenehmigung im Jahr 1760 von dem Schneider Johann Georg Fahrner errichtet worden. Das Haus 58, westlich am Weg, wurde wahrscheinlich erst nach 1792/93 von (Johann) Christian Hornberger, dem älteren der beiden Brüder, erbaut. Im Hintergrund links, durch Bäume verdeckt, erkennt man das Haus 62.
 
Nun zum Beschluß des Stadtgerichts: Das Gericht spricht die Nutzung des Brunnens nach 18 Jahren weiterhin dem Kläger Johann Georg Homberger zu, verpflichtet ihn aber auf sein Versprechen, "seinen Bruder, den Beklagten das Wasser aus dem Brunnen benutzen zu lassen, so lange es ihm und seinen bemelten 2 Mitbürgern selbst nicht daran fehle." Kann das gut gehen?

So etwas geht selten gut: Zehn Monate später, am 18. März 1811, stehen die beiden Brüder erneut vor Gericht. Jetzt klagt Christian gegen Johann Georg. Man kann sich vorstellen, dass es um die Nutzung des Brunnens immer wieder Konflikte gab, besonders dann, wenn das Wasser knapp zu werden drohte. Christian klagt deshalb auf "ungestörten" Zugang zum Brunnen und beantragt damit nichts weniger als eine Revision des Gerichtsbeschlusses vom Mai 1810. Dies gibt dem Stadtgericht von Freudenstadt die Gelegenheit, den Kläger aus formalen Gründen abzuweisen, weil er nicht (rechtzeitig) "appelliert hat", das heißt: Berufung eingelegt hat, und der Beschluss vom Mai 1810 damit Rechtskraft erlangt hat.

Christian Hornberger gibt jedoch nicht auf. Bei den Akten finden wir als nächstes einen umfangreichen Schriftsatz Christians vom 28. Juni 1811, in dem der Rechtsstreit bis zu diesem Zeitpunkt rekapituliert wird. Dabei erfahren wir auch, dass zweimal der Versuch einer außergerichtlichen Einigung mit Hilfe eines "Untergänger"-Spruchs, nämlich am 11. April 1810 und am 4. Juni 1811, gescheitert ist. Das zweite Scheitern ist wohl der Anlass für die neue gerichtliche Klage Christian Hornbergers, die jetzt nicht auf eine Revision des Beschlusses vom Mai 1810 zielt, sondern darauf, den Bruder Johann Georg anzuhalten, sich diesem Beschluss entsprechend zu verhalten. Die dritte Verhandlung vor dem Freudenstädter Amtsgericht findet am 19. August 1811 statt.

Der beklagte Bruder, Johann Georg Hornberger, erklärt sich für seine Person bereit, den Kläger an das Brunnenwasser zu lassen, "solange solches für ihn im Überfluß vorhanden", verweist nun aber besonders auf die beiden bevorrechtigten Mitnutzer, Christian Schwank und Georg Braun, die "den Kläger in keinem Fall an ihren Brunnentrog zulaßen wollen".

Unterbrechen wir an dieser Stelle erneut die Schilderung des Rechtsstreits und fragen zunächst nach den beiden privilegierten Mitnutzern des Brunnens, die jetzt entscheidend ins Spiel kommen.

Der Bäcker (Johann) Christian Schwank (1777 - 1824) ist der Sohn des Johannes Schwank (1745 - 1810, F 499), ebenfalls Bäcker, und seiner Frau Christine, geb. Fahrner (1749 - 1809). Beide Eltern stammen aus Reichenbach. Der Schneider (Johann) Georg Braun (1778 - 1853) ist der Sohn des Johann Peter Braun (1750 - 1803, F 608), Schneider aus Garrweiler, und seiner Ehefrau Maria Magdalena, geb. Fahrner (1743 - 1817) aus Reichenbach. Die beiden Frauen sind Schwestern, ihr Vater Johann Georg (Hans Jerg) Fahrner (1719 - 1782, F 607), ein Schneider aus Heselbach, ist demnach gemeinsamer Schwiegervater sowohl des Johannes Schwank als auch des Johann Peter Braun. Der Schwiegervater besitzt 1769 ein Haus und Grundstücke im Umfang von insgesamt 1,5 Morgen (XXXI). Dieser Besitz ist 1789 in Händen der beiden Schwiegersöhne (XXII), von denen jeder insbesondere "die Helfte von 2 V. im Hundsgrund, worauf sein helftiges Haus erbaut" innehat (zur Situation am Heselbacher Weg vgl. auch Teil 8 der Studie "Reichenbach zur Zeit des Tabellarischen Verzeichnisses von 1769").

1810/11 verfügen offenbar die beiden im Rechtsstreit genannten Enkel des alten Fahrner über den Besitz: Christain Schwank und Georg Braun. Um 1840 schließlich finden wir in Händen des genannten Georg Braun und seines Bruders Christian Braun (1786 - 1853) das Haus mit der alten Nummer 63 am Heselbacher Weg (Foto 2) und eine ganze Reihe kleinerer Parzellen ebenda (LII), die sicherlich zum Teil auf Johann Georg Fahrner zurückgehen. Die Schwanks sind nicht mehr beteiligt: Christian Schwank stirbt 1824 mit 47 Jahren, sein jüngerer Bruder Gottfried Schwank (1780 - 1820) noch früher, zudem kinderlos (L).

Nun wieder zurück zur Verhandlung am 19. August 1811. Christian Schwank und Georg Braun, offenbar gemeinschaftlich Nachbarn der zerstrittenen Brüder Hornberger und bevorrechtigte Mitnutzer des umkämpften Brunnens, versagen also dem Kläger Christian Hornberger den Zugang zum Brunnen. Als Reaktion darauf schlägt nun der Kläger vor Gericht vor, auf seine Kosten für sich und seinen Bruder einen zweiten Brunnentrog zu errichten, und zwar gleich neben dem alten Trog auf dem Grundstück des Bruders oder auf einem Stück Allmand (Gemeindebesitz) neben seinem, des Klägers Feld. Der beklagte Bruder Johann Georg weist jedoch dieses Angebot zurück, weil im ersten Fall das Vieh des Bruders beim Tränken sein Feld zerstöre und im zweiten Fall die Wässerung für sein oberhalb des Brunnens liegendes Feld verloren gehe.

Zieht man Flurkarte und Kataster aus der Zeit um 1840 zu Rate (LII), dann findet man in der Parzelle 98/2, die mit 11,2 (Quadrat-) Ruten im Staatsbesitz ist, wahrscheinlich den von Christian Hornberger ins Auge gefaßten Allmandplatz. Die Parzelle 98/2 liegt neben der Parzelle 98/1, die um 1840 in Händen des Sohnes von Christian Hornberger ist, und unterhalb der großen Parzelle 96, die um 1840 im Besitz der Enkel des beklagten Johann Georg Hornberger ist (vgl. dazu auch den Kartenausschnitt).

Nachdem der Beklagte den Vorschlag des Bruders, einen zweiten Brunnentrog zu errichten, abgelehnt hat, fasst das Stadtgericht zum dritten Mal einen Beschluss in der Sache Hornberger gegen Hornberger: Es weist den Kläger Christian Hornberger ab, stellt ihm jedoch anheim, sich mit Christian Schwank und Georg Braun wegen einer Mitnutzung des vorhandenen Brunnens zu einigen.

Mit diesem Beschluss kommt der Kläger Christian Hornberger offenbar nicht gut weg: Er hat einen brauchbaren Vergleich vorgeschlagen, wenn die Einlassung des beklagten Bruders richtig ist, dass die Mitnutzung des Brunnens bisher nicht an ihm, sondern an den beiden Nachbarn Braun und Schwank scheitert. Doch daran muss man zweifeln. Richtig ist wohl eher, dass sich Johann Georg Hornberger einer Einigung mit dem Bruder generell zu entziehen sucht - aus welchen Gründen und Vorfällen auch immer.

Es verwundert daher nicht, dass der Kläger Christian Hornberger mit diesem Beschluss des Stadtgerichts nicht einverstanden ist. Schon eine Woche später, am 26. August 1811, legt Hornberger Berufung ein, indem er an das "Koeniglich Hochpreißliche Oberjustiz Collegium" in Horb appelliert. Die Appellation wird unterstützt, dies ist wohl eine Voraussetzung für die Zulassung zum Appellieren, vom Ratsverwandten Raible und vom Richter Hermann, beide wohl aus Freudenstadt. Am 2. September 1811 gibt das Stadtgericht der Appellation statt und ordnet die Überleitung der Gerichtsakten nach Horb binnen sechs Wochen an. Leider endet hier das Aktenbüschel, so dass wir nicht wissen, wie das Verfahren schließlich ausging.

Vielleicht auch, Appellationsverfahren sind langwierig, hat Christian Hornberger das Ende des Rechtsstreits gar nicht mehr erlebt: er stirbt 1815 mit 52 Jahren. Seine Witwe Magdalena, die ihn um 37 Jahre überlebt, geht mit dem Maurer Matthias Jäckle (1771 - 1845) aus Betzweiler eine zweite Ehe ein (L). Das Ehepaar wohnt in Reichenbach, und zwar im Haus mit der alten Nummer 62, ebenfalls draußen am Heselbacher Weg, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den bereits genannten Häusern 58, 63 und 64 (LII).

Typoskript: 04/01
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Internetversion: 07/07
Aktualisierung: 07/07
Der Buchstabe F mit nachfolgenden Ziffern verweist auf das Ortssippenbuch von G.Frey (1987)