Studien
 
Reichenbach zur Zeit des Tabellarischen Verzeichnisses von 1769 (Teil 1):
Das Tabellarische Verzeichnis
 
Das Tabellarische Verzeichnis von 1769 lagert als Büschel 1 im Bestand A 516 L des Hauptstaatsarchivs Stuttgart (XXXI). Seine Entstehung fällt in die lange Regierungszeit (1744 - 1793) des Herzogs Karl Eugen, auf dessen "gnädigst höchsten Befehl" (vom 14. Januar 1769) es im Februar und März 1769 vom Reichenbacher Oberamtmann Heller erstellt wurde. Auch Christoph Friedrich Heller war eine lange Amtszeit beschieden: er kam 1762 im Alter von 27 Jahren nach Reichenbach und amtierte bis 1806 (also fast bis zur Auflösung des Klosteramts ein Jahr später). Das Tabellarische Verzeichnis ist ein für seine Zeit seltenes statistisches Werk über alle Ortschaften des Klosteramts. Welche Daten erhoben wurden, beschreibt recht ausführlich der Titel (Faksimile):

Closter Reichenbach
Tabellarische Verzeichnuß

der im Closter und darzu gehörigen Amts-
orten befindlichen Bürgere, Wittfrauen und
Beisizere, auch Seelen überhaubt, ingleichen
Häuser, Scheuren, Stallungen, Bronnen, Aker-
oder Mehfelder, Wüsen, Gärtten, Commun-
und Privat-Waldungen, Allmanden, Pferde,
Horn- und Rindvieher, Schaafe und Schweine
gefertiget
Im Februario und Martio 1769
auf gnädigst höchsten Befehl dd. 14. Jan. ej. ai.
durch den Oberamtmann Christoph Friedrich Heller.

Die Unterscheidung von Bürgern, Wittfrauen und Beisitzern mutet seltsam an und wirft die Frage auf: Wo bleiben die Frauen, die nicht verwitwet sind? Die Ehefrauen der Bürger sind in jener Zeit keine Bürgerinnen, sondern Mitglieder im Haushalt ihrer Männer und zählen wie die Kinder und das Gesinde zu den "Seelen überhaubt". Stirbt der Mann und bleibt die Witwe unverheiratet, rückt sie zwar auch dann nicht zur Bürgerin auf, wird aber immerhin Vorstand eines eigenen, meist kleinen Haushalts. Über Haus- und Grundbesitz verfügen die Wittfrauen in der Regel nicht, sondern genießen ein durch Herkommen, häufig auch durch Erbvertrag gesichertes Wohn- und Unterhaltsrecht bei den verheirateten Kindern.

Bürger Reichenbachs oder der anderen Ortschaften des Klosteramts konnte man, folgt man dem Tabellarischen Verzeichnis, offenbar auf zweierlei Weise werden: Männer aus eingesessenen Bürgerfamilien wurden selbst Bürger, wenn sie 18 Jahre alt waren, dem Herzog gehuldigt und durch Heirat einen eigenen Hausstand gegründet hatten, unabhängig davon, ob sie über Haus- und Grundbesitz verfügten. Wer nicht eingesessen, sondern zugezogen war, konnte nur durch Erwerb von Hausbesitz Bürger werden, sonst blieb er, so lange sein Aufenthalt in der Gemeinde geduldet wurde, Beisitzer. Beisitzer wohnen also stets zur Miete.

Schade ist, um den Titel des Tabellarischen Verzeichnisses noch weiter zu kommentieren, dass Horn- und Rindvieh, also Ziegen ("Geißen") und Rinder, unter eine Kategorie fallen, wo doch beide durchaus den ungleichen Status ihrer Besitzer widerspiegeln. Die Ziege gilt gemeinhin als die Kuh der kleinen Leute, so dass es interessant gewesen wäre zu prüfen, inwieweit diese soziale Zuordnung auch für das Klosteramt galt. Als Faustformel dürfen wir aber wohl auch dieser Studie zugrunde legen, dass die eher reichen Familien über Milchkühe (und über Ochsen, wenn nicht über Pferde, als Zugtiere) verfügten, während die ärmeren Familien sich mit ein oder zwei Ziegen begnügen mussten.

Das Tabellarische Verzeichnis enthält auf einer Doppelseite (Faksimile) eine Übersicht über alle Ortschaften des Klosteramts, die vergleichende Betrachtungen erlaubt:

  • Reichenbach hat sowohl von der Zahl der Bürger (45) als auch der "Seelen überhaubt" (301) alle anderen Orte weit hinter sich gelassen.
  • Zahl (14) und Anteil (93%) der besitzlosen Beisitzer sind, offenbar durch Zuwanderung von Hüttenarbeitern, auf der Glashütte von Schönmünzach besonders hoch.
  • Kommunalwälder fehlen in den spät entstandenen Gemeinden Reichenbach und Huzenbach sowie auf den Höfen im Tonbach.
  • Nennenswerte Privatwälder gibt es nur in Igelsberg.

Die einzelnen Ortschaften sind je nach Größe auf einer oder auf mehreren Doppelseiten aufgeführt. Für Reichenbach sind es vier Doppelseiten (Faksimile), von denen drei den Bürgern und Wittfrauen gewidmet sind. Fragt man nach dem Ordnungsprinzip, nach dem die Liste der Bürger aufgestellt ist, dann scheidet die alphabetische Folge offensichtlich aus. Auch Statusgesichtspunkte, also zum Beispiel eine Reihung nach der Höhe des Vermögens, sind als Ordnungsschema nicht erkennbar. Dagegen scheint die Liste dem Nachbarschaftsprinzip zu folgen: Auf den Märtesbauern, (Johann) Martin Frey, der die Liste anführt, folgen der Müller und der Meier des Reichenbachs, ehe die Bewohner des Dornstetter Wegs aufgeführt werden, und so geht es weiter. Im großen und ganzen haben wir im Tabellarischen Verzeichnis eine ähnliche Reihung wie später, um 1840, im Primärkataster (LII). Das ermittelte Ordnungsprinzip des Verzeichnisses kann man sich zunutze machen, wenn es um die Klärung der Frage geht, wo die einzelnen Bürger ihr Haus oder ihre Wohnung hatten. Vorsicht ist freilich geboten.

Das Wissen um das Ordnungsprinzip des Tabellarischen Verzeichnisses ist auch deshalb nützlich, weil wir Mitte des 18. Jahrhunderts - außer dem recht ungenauen "Mühlenplan" von 1751 (XXXVIII), der nicht mit kartographischer Absicht entworfen wurde - keine Karten, sondern nur verbale, nicht immer hilfreiche Lagebeschreibungen haben. Wir finden diese insbesondere im ersten Beilagerbuch (XXXVI), in den Akten über Baugenehmigungen (XXVII) und den Verkauf von Wildfeldern (LIII, LVI) sowie im "Handlohn- und Weglösebuch" des Jahres 1789 (XXII). Zuverlässige Ortsinformationen bekommen wir erst mit den Flurkarten und Katastern aus der Zeit um 1840 (LII), die auf Hausnummern Bezug nehmen, die erstmals wahrscheinlich 1807 vergeben wurden.

 
Internetversion: 04/06
Aktualisierung: 04/06
Der Buchstabe F mit nachfolgenden Ziffern verweist auf das Ortssippenbuch von G.Frey (1987)